Es wird Zeit, dass sich was dreht!

Auszüge aus der Eröffnungsansprache der Lossprechungsfeier

Es wird Zeit, dass sich was dreht, vielen Dank an die Kapelle Werner Bendels, vielen Dank, das war ein schöner Anfang. Zeit, dass sich was dreht. 30 junge Schornsteinfegerinnen und Schornsteinfeger haben in 2006 ihre Ausbildung erfolgreich absolviert. Deshalb zunächst einmal von uns allen: 30-mal herzlichen Glückwunsch liebe Gesellinnen und Gesellen.

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Mit Ihrer Entscheidung, ein Handwerk von der Picke auf zu erlernen liegen sie so richtig. Ich will ihnen sagen warum:

In Deutschland gibt es 94 Handwerksberufe. In 53 von diesen 94 Berufen hat die Politik sich entschlossen, die Gesellenprüfung und die Meisterprüfung als notwendigen Führerschein in die Selbstständigkeit zu streichen. In diesen 53 Berufen hat es eine Dequalifizierungsspirale ungeahnten Ausmaßes gegeben.

Was heißt das? Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden bei der Handwerkskammer Düsseldorf knapp 3.500 Eintragungen in diese Gewerke gezählt. Nur, mit der Qualifikation sieht es mau aus.

In 72 dieser 3.500 Eintragungen haben die heute Selbstständigen einen Meisterbrief, weitere 77 glänzen noch mit einem Gesellenbrief und dann noch 15, die irgendeine andere vergleichbare Qualifikation aufwiesen. Das wars. Fliesenleger, Estrichleger, Gebäudereiniger, Parkettleger, um nur die vier größten Berufsgruppen zu nennen. 3.300 von 3.500 ohne jegliche Qualifikation.

Es soll ja eine ganze Reihe Politiker geben, die haben geglaubt nur der Meister sei als Zugangsvoraussetzung gefallen. Die haben offensichtlich nicht aufgepasst oder einfach nicht zugehört.

Eine Auszubildende
Eine Auszubildende: "Sie hat alles richtig gemacht!"

Man kann es nicht oft genug sagen: Qualifikation abbauen, um erfolgreicher zu werden, das ist schlichtweg Unsinn. Ich will sie nicht mit Zahlen langweilen, zumal viele dieser Betriebe nicht viel länger überleben, als sie öffentlich subventioniert werden, obwohl auch das den Steuerzahler eine ganze Menge Geld kostet.

Aber etwas ganz anderes ist auch bedenklich: Der politischen Klasse ist es womöglich gar nicht bewusst, dass die Weitergabe von Werten, aber auch von Wissen und handwerklichem Können in der Kette der Generationen verloren gehen wird. Was über zahlreiche Generationen weiter gegeben wurde, könnte durch komplett fehlende Qualifikation von Existenzgründern in nicht viel mehr als einer Generation verloren gehen. Unser Nachbarland Frankreich geht da genau einen anderen Weg. Frankreichs Existenzgründer müssen künftig einen Mindeststandard nachweisen.

Deshalb an sie noch einmal die Antwort auf die Frage, ob es richtig ist, ein Handwerk zu lernen: Sie haben alles richtig gemacht. Sie haben Beachtliches geleistet.

Und deshalb diese Feierstunde hier, zu der ich als Festredner aus dem Bundesumweltministerium den parlamentarischen Staatssekretär und Bundestagsabgeordneten Michael Müller begrüßen darf.

[Begrüßung zahlreicher weiterer Ehrengäste folgt, so zum Beispiel den Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaft, Mittelstand und Energie, MdL Franz-Josef Knieps und den Chefredakteur der größten Deutschen Regionalzeitung WAZ]

Der Ausbildungsstand im Schornsteinfegerhandwerk ist hier bei uns im Lande europaweit einer der Besten. Und dennoch lesen sie in diesen Tagen Artikel in der Zeitung, oder hören und sehen Beiträge im Radio und Fernsehen über das Schornsteinfegerhandwerk. Die Schlagzeilen sind nicht immer ermutigend:

  • „Manch ein Kaminkehrer sieht schwarz“
  • „EU steigt Kaminkehrern aufs Dach“
  • „Kehraus für den schwarzen Mann“
  • oder „Fällt das Schornsteinfegermonopol?“

Staatssekretär Michael Müller im Gespräch mit LIM  Hans-Günter Nellen
Ehrengäste: Staatssekretär Michael Müller im Gespräch mit LIM Hans-Günter Nellen

Und die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ glaubte es am Mittwoch der vergangenen Woche schon zu wissen: „Monopol der Schornsteinfeger fällt“ überschreibt sie schlicht ihren Artikel.

Was ist passiert? Die europäische Union fordert Dienst- und Niederlassungsfreiheit im Schornsteinfegerhandwerk. Diese beiden elementaren Grundfreiheiten hütet Europa wie einen Augapfel.

Deutschland ist im Oktober mittels einer so genannten „Begründeten Stellungnahme“ aufgefordert worden, das Schornsteinfegerrecht in Deutschland zu ändern. Ganz nebenbei bemerkt, hätte man aus Brüssel nichts gehört, wenn man die Schornsteinfegertätigkeiten von einer Beamtenschaft ausführen lassen würde. Deutschland wird also zum Vorwurf gemacht, dass es das System nicht unmittelbar durch öffentliche Verwaltung sondern fortschrittlich durch mittelbare Verwaltung, also beliehene Unternehmer organisiert hat.

Das Schornsteinfegerhandwerk ist zwar von einer Reform seines Berufsstandes unmittelbar betroffen, aber es ist nicht unmittelbar beteiligt. Das Bundeswirtschaftsministerium ist mit den Bundesländern und mit Brüssel im Gespräch, Entscheidungen sind noch nicht gefallen, Einzelheiten werden erst Mitte Dezember bekannt.

Dennoch gehe ich davon aus, dass der Staat es sich nicht nehmen lässt, Regeln für den Schutz des Klimas und für sicherheitsrelevante Bereiche häuslicher Feuerungsanlagen zu setzen. Die Notwendigkeit solcher Arbeiten ist in der kompletten Fachwelt unstrittig und geschieht im Übrigen überall in Europa.

Art und Umfang der Arbeiten stehen entsprechend dem technischen Fortschritt ständig wiederkehrend auf dem Prüfstand. Das aktuelle Muster einer neuen Überprüfungsordnung für Schornsteinfegerarbeiten soll 2008 in Kraft treten. Diese Verordnung umfasst alle modernen Feuerstätten, sogar die, die zurzeit lediglich auf Messen zu finden sind. Je moderner und sicherer, desto seltener wird auch geprüft.

Was will denn der Staat und was toleriert der Bürger?

  • Der vorbeugende Brandschutz häuslicher Feuerungsanlagen und auch die Klimaschutzziele sollen effizient und preiswert sichergestellt werden.
  • Es soll bürgernah beraten werden können, ich denke an den nicht unbeträchtlichen Problembereich „Feinstaub“ aus häuslichen Feuerungsanlagen.
  • Es darf keine Unfälle durch Feuerungsanlagen geben und es darf keine unnötige Bürokratie verursacht werden.
  • Und Dienstleister in diesem Bereich sollen Ihrer Verpflichtung zur Weiterbildung nachkommen, ein funktionierendes Qualitätssicherungssystem aufweisen und dadurch Service- und Kundenorientiert arbeiten.
  • Und letztlich muss das Ganze aufgrund europarechtlicher Vorgaben noch Diskriminierungsfrei gegenüber anderen Europäern sein.

Das lässt sich alles machen, das ist kein juristisches Problem, das erfordert nur politischen Willen. Das Schornsteinfegerhandwerk selbst verschließt sich keinen sinnvollen Reformen. Nur bitte: „Keine Kehrreform zu Lasten der Bürger“! Der Bürger wird zu Recht kein Verständnis dafür haben, dass man ihm billigere Schornsteinfegerarbeiten vorgaukelt, die Preise aber steigen werden. Und was ist mit Dienstleistungen, die der Markt nicht nachfragt, die aber schützenswerte Interessen der Gemeinschaft sind?

Die Werner Bendels Band
Werner Bendels Band: "Zeit, dass sich was dreht!"

Und wer ist verantwortlich zu machen für die in jüngerer Zeit wieder zunehmende Verbrennung von behandelten Holzresten und Abfällen in Baumarktöfen. Diese erfreuen sich größter Beliebtheit bei denen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Gasrechnung zu bezahlen. Wer kümmert sich darum und wer ist Verantwortlich? Der mündige Bürger selber? Der Vermieter? Oder der Staat?

Prof. Radermacher vom Institut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung hat es im vergangenen Jahr in Aachen öffentlich gesagt: Er schätzt, dass es zwei- bis dreimal so teuer würde, wenn der Staat die Tätigkeiten des Schornsteinfegerhandwerks leisten müsste.

Liebe jungen Berufsangehörigen. Sie sehen, spannende Zeiten, aber lassen Sie sich nicht verunsichern, dass Handwerk lebt und es hat Zukunft.

Und außerdem ist da ja noch der Glücksbringer-Bonus. „Schornsteinfeger bringen Glück“ Aberglaube hin oder her. Das Gegenteil hat bis heute keiner bewiesen. Und auch heute verhindern Schornsteinfeger noch Unglücksfälle und Brände. Nur nimmt es heute keiner mehr wahr, weil der Schornsteinfeger kommt, bevor etwas passiert.